Erfülltes Leben

Hört sich zunächst mal toll an. Ein erfülltes Leben zu haben ist doch von Vorteil. Man hat etwas erreicht. Kann auf etwas zurückblicken, natürlich voller Stolz. Aber was ist eigentlich ein erfülltes Leben?

Was sind das für Menschen, die von sich selbst behaupten können, ein erfülltes Leben gelebt zu haben? Sind die jetzt schon an einem Endpunkt angelangt? Ich weiß doch gar nicht, was da noch kommt. Gibt es gar ein erfülltes Leben in Potenz? Nach welchen Kriterien hat man ein erfülltes Leben?

Dieser Sache gehe ich heute mal auf den Grund. Ich gehe stark davon aus, dass die glücklichen Menschen mit ihren erfüllten Leben eine Checkliste im Safe liegen haben. Die wird brav abgehakt: Familie gegründet: erledigt / Kinder in die Welt gesetzt: erledigt / Guter Job: erledigt / Baum gepflanzt: ist leider eingegangen, neuen kaufen / Haus gebaut: ich bleibe am Ball….

Geht ein erfülltes Leben denn nur mit Dingen, die ich schon erledigt habe? Was ist mit dem Leben, das noch vor mir liegt? Zählt das denn dann überhaupt noch, wenn ich schon heute nur noch in der Retrospektive denke? Hat irgendwie auch zuviel Passivität. So eine „Schaukelstuhl-Mentalität“. Ja, ja, damals in Sizilien….. (man erinnere sich an die Mama in der amerikanischen Serie „Golden girls“).

Wenn es also nach diesen Kriterien geht, so habe ich ein gänzlich unerfülltes Leben. Ich bin noch neugierig auf jeden Tag. Auf das, was da noch kommen mag. Was ich noch alles entdecken kann. Und wie nächstes Jahr wohl meine Buschbohnen werden, die ich im Frühjahr anpflanzen will. Ich kann keine Familie nachweisen, es hat sich nicht ergeben. Und auch sonst bin ich bisher in ziemlich unruhigen Gewässern unterwegs gewesen. Manchmal so weit draussen auf dem Meer, dass ich kein Land mehr gesehen habe. Immer der Nase lang. Bis ich irgendwann dann wieder Land gesehen habe. Sich was zu trauen, auch mal neben die Etikette zu treten, einfach querfeldein zu laufen. Also so gesehen ist mein Leben dann doch nicht so leer. Eher „angefüllt“ mit Erfahrungen, Selbstzweifeln und Kampfgeist. Aber es ist eben noch nicht erfüllt, so wie eine Aufgabe.

Vielleicht kommt das ja noch. Ich lasse mich überraschen und bleibe neugierig!

3 Kommentare zu „Erfülltes Leben

  1. „Erfülltes Leben“ ist ein schöner Begriff. „Ich hatte ein erfülltes Leben“ kenne ich aber nur von wirklich alten Menschen. Und da ist es wahr: Frau Z., 92, aus bildungsbürgerlichem Hause, hat studiert und unterrichtet, geheiratet und Kinder bekommen, die Kinder groß gezogen und in die Welt entlassen, ist mit ihrem Mann gereist, hat sich in Vereinen engagiert. Irgendwann kamen die Enkel, jetzt die Urenkel. Frau Z. ist klar im Kopf und noch mobil, freut sich auf jeden einzelnen Tag, aber vor Allem verwaltet sie einen Schatz von Erinnerungen.
    Ein erfülltes Leben „hatte“ man, wenn man nicht wehmütig zurückblickt sondern sein Leben wie ein Urlaubsmitbringsel betrachtet und dem Rest des Lebens gelassen entgegengeht, keinen Druck verspürt, noch irgendetwas machen zu müssen, sondern alles auf sich zukommen lassen zu können.
    Wir „haben“ eher ein erfülltes Leben. Ein erfülltes Leben „hat“ man, wenn man sich das erarbeitet, was Frau Z. hatte. Einen Vorrat an Erfahrungen und Erinnerungen, den man hüten kann wie einen echten Schatz. Denn darum geht es, das Ideelle und nicht das Materielle. Oder um Aristoteles zu bemühen: Glückseligkeit liegt im Tun, aber in der praxis, nicht in der poiesis. Wenn ich etwas tue, um etwas zu bekommen, liegt der Wert der Handlung nicht in ihr selbst, sondern im Ziel. Wenn ich einen Tisch schreinere, liegt das Ziel im Tisch. Wenn ich vor mich hinpfeife, liegt das Ziel der Handlung im Pfeifen selbst – und das macht es so erfüllend. Ein erfülltes Leben hat also, wer lebt um erfüllt zu sein.

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  2. Klar, es sind meist die älteren Menschen, die auf etwas „zurückblicken“. Meist liest man den Satz ja auch in Todesanzeigen (Nach einem erfüllten Leben hat Gott sie / ihn zu sich gerufen). Wie Du weißt, betrachte ich die Dinge gern mit einem Augenzwinkern aus einem völlig anderen Blickwinkel – also nicht bierernst nehmen. 🙂

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  3. Mit großem Interesse gelesen!
    Und ich kann dir nur zustimmen…

    Der Begriff des erfüllten Lebens ist seeeehr relativ!
    Wer kann denn so vermessen sein, hier die Maßstäbe festzulegen?
    Niemand, jedenfalls kein Mensch!

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